Sitzbezug erneuern

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Moderator: guidolenz123

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rolf.g3
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Sitzbezug erneuern

Beitrag von rolf.g3 » Fr 22. Jan 2016, 12:51

moin,

Sieht der Sitz so aus
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DSC02985.JPG (62.17 KiB) 4513 mal betrachtet
und das gefällt nicht, hat man schonmal kein Problem was Geschmack betrifft.

Möchte man das der Sitz so aussieht
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DSC03009.JPG (62.59 KiB) 4513 mal betrachtet
So benötigt man folgendes:

ersteinmal genügend Zeit, stahlharte Nerfen, ein eher ruhiges Gemüt und Spass an dröger Langeweile.
Desweiteren einen Tisch welcher nicht unbedingt im Wege steht und auch mal ein paar Tage nicht abgeräumt werden braucht
und ein paar Quadratmeter freien, am besten Laminatbedeckten Fußboden. ( Teppich ist schlecht da er nachgibt und Fliesen sind durch die Fugen zu uneben )
Werkzeuge: Ein bis 2 Zangen um den Bezug vom ausgebauten Sitz zu nehmen
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DSC02987.JPG (39.46 KiB) 4513 mal betrachtet
Diese Drahtringe finden sich in bislang allen PKW-Sitzen die ich neu bezogen habe. Die Ringe bitte sorgfältig öffnen und aushängen, die werden wieder gebraucht.
Vorsicht: Verletzungsgefahr ! Diese Ringe sind spitz und reißen gerne üble Wunden.

Der Bezug ist Zerstörungsfrei abzunehmen!

Alle anfallenden Teile gut verwaren.

Der Sitzbezug besteht idR aus 3 Teilen: Sitz, Rückenlehne und Kopfstütze.
Wir beginnen mit dem Sitzbezug, die anderen Teile lassen wir ersteinmal zusammen um Verwechslung der Einzelteile zu vermeiden.

Als erstes wird nun der Sitzbezug in seine Bestandteile zerlegt. das geht am besten mit einem Nahtauftrenner
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DSC02988.JPG (35.35 KiB) 4513 mal betrachtet
Alle Nähte, praktisch jeder einzelne Stich, wird mit dem Nahtauftrenner sauber aufgetrennt.
Achtung: Nur die Nähte sind zu öffnen, der Stoff / Kunstleder darf NICHT beschädigt werden. Alle Teile werden sorgsam verwahrt um Verwechslung zu vermeiden.
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DSC02991.JPG (50.4 KiB) 4513 mal betrachtet
Das ist das Ergebniss dieser Arbeit. Bis hierher darf das schon Stunden gedauert haben. 019)
Alle Teile ausser dem Bezugsstoff / Kunstleder werden wiederverwendet, später Anbauteile genannt.
Auf der Innenseite sollte man sich Marken aufschreiben um später, beim wieder zusammenbau sicher zu sein was war oben, unten links und rechts.

Diese Teile werden nun auf ein Stück Kunstleder gelegt. Dies sollte auf dem Fußboden passieren, da beim nächsten Arbeitsschritt ein Verzug der Teile weitestmöglich ausgeschlossen werden sollte. Auch benötigen wir von nun an andere Werkzeuge, welche auf dem nächsten Bild zu sehen sind
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DSC02992.JPG (45.73 KiB) 4513 mal betrachtet
Auserdem sehen wir, das von nun an alle arbeiten von Links stattfinden müssen. Das heißt: Die später sichtbare Seite liegt unten, deshalb muß auch bei unseren Mustern die sichtbare Seite unten liegen.
Werkzeuge: Eine wirklich gute Scheere, ein guter Tacker inkl etwa 750 Tackernadeln, Ein, besser 2 weiche Bleistifte ( ich bevorzuge 5B ) Ein Massstab, etwas Klebeband, ein Holzstäbchen oder 2, einen Bleistift HB und nochmal einen Bleistift 5B.
Es wird empfohlen sich auch seine lieblings CD zurecht zu legen, die braucht man wirklich denn jetzt werden
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DSC02995.JPG (51.24 KiB) 4513 mal betrachtet
die Einzelteile abgemahlt. Alle Marken werden übertragen und alle ursprünglichen Punkte, welche der Hersteller ursprünglich angebracht hat. Bei Opel sind das winzige ausgestanzte Dreiecke, welche die Punkte kennzeichnen an denen sich die einzelnen Teile bei der Montage treffen. In diesem Fall sind das winzige, leicht zu übersehende Einschnitte in den Rand des Bauteils.
Diese Marken sind bei der späteren Montage extrem wichtig, da sie die Position der einzelnen Teile zueinander kennzeichnen.
Beim Abmalen ist äußerste Gewissenhaftigkeit an den Tag zu legen. Alle Nahtüberstände, über die Jahre gefaltet, müssen sorgfältig übertragen werden, alle Einschnitte berücksichtigt werden.

Puh, ist das erstmal geschafft, sollte es aussehen wie auf dem letzten Bild. Pause ist angesagt und die lieblings CD wechseln, da sie jetzt schon das 4.mal durchleiert.

Als nächstes basteln wir uns einen " Doppelstift ", dazu benötigen wir den bereits erwähnten HB Bleistift und den 3. 5 B Bleistift, das Holzstäbchen ( es kann auch anderes genommen werden : ein Streifen Pappe, etwas Blech, Kunststoff usw )und das Klebeband.
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DSC02996.JPG (41.46 KiB) 4483 mal betrachtet
Wie auf dem Bild zu sehen, werden die 2 Bleistifte mit einem wie auch immer gearteten Abstandhalter versehen und so miteinander fixiert, das die Bleistiftspitzen 1. auf einer Ebene und 2. soweit auseinanderstehen, wie Beim Originalbezug die Naht vom Rand entfernt ist.

Damit wird nun der spätere Nahtverlauf auf unser Kunstleder übertragen
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DSC02998.JPG (39.26 KiB) 4483 mal betrachtet
Der HB Bleistift wird entlang der Schnittkante gezogen ( dieser braucht nicht zu malen ) , der 5 B Bleistift zieht die zukünftige Nahtlienie.
Dieser Schritt ist insofern wichtig, da er uns zeigt wo letztlich eine Naht hinkommt und wir an der Nähmaschine eine wesentlich bessere Führung des Werkstückes erreichen, da wir den Abstand haben und uns besser auf die eigentliche Naht konzentrieren können.
Der Abstand ist, so meine Erfahrung, von Hersteller zu Hersteller verschieden, aber die Bezüge eines Autos, einer Mopedsitzbank, eines Wohnzimmersessels immer gleich. Das heißt: für jedes Projekt genügt ein Abstand der Bleistifte.

Ist nun jede zukünftige Naht eingezeichnet ( da wo keine Naht hinkommt kommt natürlich auch kein Strich hin ) sollte unser Kunstleder so aussehen
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Ich sehe bei jedem Eizelteil zu das ein Rand drumherum weggeschnitten werden muß, sprich aus dem vollen schneiden. Ein Teil an den Rand legen spart zwar etwas Verschnitt, doch meist sind bei jedem Einzelteil die Ränder nicht gerade sondern irgentwie geformt.

Jetzt kommt die gute Scheere in Aktion. Wir schneiden die Einzelteile aus. Sehr sorgfältiges arbeiten ist auch hier gefragt.
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DSC03001.JPG (65.37 KiB) 4483 mal betrachtet
Das sollte das Ergebniss sein.

Der nächste Schritt: Alle Teile werden mit allen Anbauteilen des Originalbezugs versehen an entsprechender Stelle, die nicht an oder in einer Verbindungsnaht zweier Teile sind. Das sind : Versteifungsstücke, die am Rand des Sitzes die oben erwähnten Ringe aufnehmen, die Stoffkanäle, welche auf der Unterseite der Sitzfläche angebracht sind und einen Draht aufnehmen welcher wiederrum an den Sitz mit den Ringen befestigt wird...
Auch sind alle Umschläge zu nähen, welche an den Rändern der Werkstücke kein weiteres Teil verbinden.
Auch sind ggf Ziernähte auf den einzelnen Werkstücken jetzt zu fertigen.

Dann werden die Einzelteile aneinander gefügt und fixiert. Man kann dafür Stecknadeln verwenden und sich die Finger zerstechen, darauf beim anstecken achten welche Nährichtung vorherscht um später dann fest zu stellen, das man falschrum gepinnt hat und man von vorne anfängt ...

... oder ...

man nehme einen guten Tacker.

Die Teile sind Kante auf Kante zu legen, so das die Montage - Marken übereinander liegen und am äußersten Rand getackert.

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Immer schön Nadel an Nadel tackern, Rundungen oder Gerade, egal, immer drauf achten das die Außenkanten der Werkstücke genau übereinander liegen und die Marken sich treffen, dann kann eigentlich nix passieren. Läuft ein Werkstück, grade bei engen Radien aus dem Ruder, einfach die Tackernadeln öffnen und neu machen.
Übung heißt hier das Zauberwort.

Die Einzelnen Bezüge werden immer von innen nach außen genäht. In diesem Falle heißt das, das die Teile links und rechts der Sitzfläche angetackert werden. Diese 2 Nähte werden genäht. Erst dann wird das Abschlußteil hinten ( im Bild das unterste Teil ) getackert, genäht, dann erst das Umrandungsstück angetackert und genäht.
Alles auf einmal tackern und alles auf einmal nähen funzt nicht. Gibt ein Riesenknäul unter der Nähmaschine und die Tacker gehen uU auf und man fängt von vorne an.

Ist alles genäht werden zu guter letzt alle Tackernadeln wieder entfernt, eine böse fummelei, geht aber nicht anders...
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DSC03005.JPG (41.78 KiB) 4483 mal betrachtet
Das sind die Tackernadeln allein für die Rückenlehne.

Nachdem wir den neuen Bezug nun auf rechts gedreht haben können wir den Sitz beziehen. Sind wir damit fertig, und erst jetzt - gemeinerweise, sehen wir ob die Sache passt und ob die Nähte gerade verlaufen, das Kunstleder an den richtigen Stellen spannt - oder an den falschen überspannt - kurz: Ob unsere Arbeit von Erfolg gekrönt ist, oder wir von vorne beginnen dürfen.

Die Rückenlehne und die Kopfstütze sind nun an der Reihe

Das aufwändigste Stück bei mir war eine Rücksitzbank inkl Mittelarmlehne und Kopfstützen eines Astra Kombi. 57 Einzelteile.
Diese Arbeit ist extrem aufwändig und für mich sehr anspruchsvoll.
Doch lohnt sich für mich der Aufwand, da neue Sitze verbauen zwar evtl einfacher währe doch Er hier
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DSC03002.JPG (59.3 KiB) 4483 mal betrachtet
sein Haarkleid auch in dem Stoffbezug der neuen sitze verteilen wird, so muß ich auch neue Sitze neu beziehen.
Auserdem: Wer hat schon Original Sitze mit Kunstlederbezug, die es so werkseitig nie gab ?

Wie gesagt eine sehr Zeitaufwändige und zum Teil sehr langweilige Tätigkeit. Ausserdem wird das Arbeiten an der Nähmaschine vorausgesetzt.
Die Nähmaschine selbst sollte entweder eine Profi / Industriemaschine sein ( zum Teil 4 lagen Kunstleder ) oder wie die meine aus der guten alten Zeit ( Baujahr ende der 1950er Jahre ) als noch Gehwegplatten aneinander genäht wurden. Die heutigen Plastik - Billigmaschinen wie sie über Aldi/LIDL & Co vertrieben werden ( auch wenn 1000 mal Singer draufsteht ) schaffen nicht einen Sitzbezug. Die reißen schon bei einer Lage Kunstleder die Hufe hoch.

Viel Spaß beim nachmachen und ggf am Verzweifeln, nur Mut - ÜBEN ÜBEN ÜBEN, nix anderes... 033)

gruß rolf
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Re: Sitzbezug erneuern

Beitrag von guidolenz123 » Mo 3. Jul 2017, 20:40

Ich nähe manchmal mit Nadel ,Fingerhut , Zange und Hammer...bei dicken Materialien unerlässlich...aber ich hasse es. Ich kann es auch nicht wirkl... hält zwar (fast) alles ,aber schaut grauslich aus....
Wenn man sehen kann, was ich nähen soll...lass ich es lieber gleich... 019) :lol: :wink:
Gruß Guido
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